Bornholm, den 24. Juni 1998

Liebe Lisa,
Du kannst Dir nicht vorstellen, wie unruhig eine Nacht mit einem Sandkorn im Eierbecher auf dem Nachttisch ist. Ich habe fast kein Auge zugekriegt, so laut hat es geschnarcht und kaum ist es aufgewacht, krakeelt es schon wieder rum.
„Bring' mich zum Tisch, ich will mit Euch frühstücken!" kräht es aus dem Eierbecher. Nun gut, dagegen ist nichts einzuwenden, dass es auch noch in mein gekochtes Ei beißen will, finde ich schon nicht mehr so witzig.
Es kaut, schmatzt und ... rülpst! Ich bin empört und frage, ob es denn überhaupt keine Kinderstube genossen habe. Seine Antwort kommt prompt: "Ein Sandkorn ist ein Sandkorn und wie es ist, so ist es eben, fertig aus!"
Na, denke ich, das kann ja heiter werden. Auf meine Frage, wie alt es denn wohl sei, wird mir erklärt, dass es für Sandkörner weder Zeit noch Raum gibt und seitdem die Welt existiert, gäbe es auch Sandkörner.
Im Übrigen sei ER direkt an der Schöpfung der Welt beteiligt gewesen. (Au Backe, frech, unerzogen und auch noch größenwahnsinnig.)
„Nun denn" sage ich, "wenigstens weiß ich jetzt, dass Du ein männliches Sandkorn bist, verrätst Du mir Deinen Namen?" "Hab keinen Namen." Nanu, das hörte sich aber traurig an. "Weißt Du was, ich nenne Dich ab sofort Egon." schlage ich vor. "Mir doch wurscht", kriege ich zur Antwort und nun soll ich ihn ins Schlafzimmer bringen, der Sturm und die hohen Wellen während der vergangenen Tage hätten ihm Stress bereitet und er müsse jede Menge Schlaf nachholen und schwupp ist Egon schon fest eingeschlafen.

Tschüß mein Mäuschen, Küsschen von Omi

® & © by Ingrid Waschke

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